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Schweizer Familie, Februar 2013


«Im Traum schaffe ich es, sieben Pirouetten zu drehen»


Margrit Läubli, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich?
Total. Im Traum tanzte ich allein auf einer riesigen Blumenwiese unter der Sonne.
Sie kommen aus einer Hand­werkerfamilie. Ihre Grossmutter besass in Zürich ein Schneideratelier. Woher kam die Faszination für das Tanzen?
Ich weiss es nicht, ich tanzte von klein auf.
Sie träumten davon, Ballettstunden zu nehmen.
Daheim war das Geld knapp. Einmal erfüllte mir eine Tante meinen Traum trotzdem. Mit neun durfte ich einen Monat lang am Stadttheater Unterricht nehmen.
Wenn Sie für Ihre Grossmutter Kleider auslieferten und sie Ihnen 20 Rappen für das Tram gab, seien Sie lieber gelaufen, um das Geld für Ballettstunden zu sparen.
Das stimmt. Ich bekam kein Taschengeld, darum half ich in unserem Geschäft, so oft es ging.
Trotz schwieriger Umstände wurde Ihr Traum Wirklichkeit: Sie tanzten fünf Jahre lang Ballett im Stadttheater Zürich.
Ich war ehrgeizig. Und ich kann mich durchsetzen. Aber wissen Sie was, ich kann Ihnen hier nicht mein ganzes Leben erzählen. Wir wollten doch über meine Träume reden.
Also gut, was träumten Sie letzte Nacht?
Das weiss ich nicht mehr. Die meisten Träume vergesse ich nach dem Aufwachen sofort, einer jedoch begleitet mich seit Jahren.
Welcher?
Ich stehe auf einer Bühne und drehe eine Pirouette. Früher schaffte ich im Stadttheater, wenn es gut ging, drei oder vier Drehungen. In meinem Traum schaffe ich es siebenmal. Ich drehe mich und drehe mich. Wissen Sie, wie wunderbar das ist?
Ich kann es mir vorstellen. Was könnte der Traum bedeuten?
Wer Pirouetten drehen kann, ist im Gleichgewicht. Tanzen ist wie das Leben: Nie stehen bleiben, immer weiterdrehen, im Gleichgewicht bleiben.
Sie werden demnächst 85. Sind Sie traurig, weil Sie in Wirklichkeit keine Pirouetten mehr drehen können?
Nein. Das ist der Lauf der Zeit. Ich habe es erlebt und bin froh darüber. Denn das Leben besteht nicht nur aus einer Farbe. Ich erlebe die ganze Palette. Das Zusammenleben mit meinem Mann Cés hatte viele Farben, mein heutiges Leben mit Ernst Gisel hat neue Farben.
Über Ihren 2007 verstorbenen Mann und Bühnenpartner, den Kabarettisten Cés Keiser, sagten Sie: «Er hat alles, was ich nicht habe. Wir ergänzen uns künstlerisch und familiär.»
Wir hatten ein gutes Leben – es bestand aus Freude und Arbeit.
War er Ihr Traummann?

Ich habe mir Cés nicht erträumt, wir sind uns begegnet. Die Realität ist viel besser als ein Traum.
Sind Sie Träumerin oder Realistin?
Ich bin Realistin. Bei der Abschiedsfeier für Maria Becker vor vier Wochen im Zürcher Schauspielhaus erinnerte sich ihr Sohn Benedict Freitag an ein Zitat seiner Mutter: «Als Schauspieler musst du denken und schicken. Fühlen muss es das Publikum.» Dem stimme ich zu: Schauspielerei ist Kopfarbeit.
Was leicht aussieht, ist harte Arbeit …
… und erfordert viel Disziplin. Der Körper muss einem auf der Bühne folgen, sonst bist du verloren und kannst dich nicht ausdrücken.
Ist es trotzdem schön dort oben?
Ja. Auf der Bühne bin ich zu Hause – bis heute.
Kehren Sie nochmals dorthin zurück?
Im Moment gibt es keine Pläne. Aber ich kann warten.
Schon daran gedacht, gemeinsam mit Ihrem Sohn, dem Kabarettisten Lorenz Keiser, aufzutreten?
Ich würde schon wollen, aber er will nicht.
Ist es Ihnen wichtig, dass Sie nach Ihrem Tod in Erinnerung bleiben?
Ich hoffe einfach, die Texte von Cés gehen nicht vergessen.​


Margrit Läubli, 84, trat nach ihrer Ballettausbildung im Stadt- theater Zürich auf, dem heutigen Opernhaus. 1949 wechselte sie ins Kabarettfach. Im Cabaret Fédéral lernte sie ihren 2007 verstorbenen Mann Cés Keiser kennen. Das Paar stand fast vier Jahrzehnte gemeinsam auf der Bühne. Läubli wohnt in Zürich.

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