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Schweizer Familie, Mai 2014

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«Der Paradiesvogel, der am Boden bleibt»

 

Violett, Türkis und Gelb – Modemacher Julian Zigerli setzt bei den Männern auf Farbe. Die unkonventionellen Kollektionen sorgen für Aufsehen. Auch Stardesigner Giorgio Armani ist begeistert.

 

Das deutsche Männer-Modemagazin «Gala Men» jubelte: «Diesen Aufsteiger muss man kennen.» Das Schweizer Fernsehen titelte: «Abräumer im internationalen Mode-Zirkus.» Der Winterthurer «Landbote» notierte: «Giorgio Armanis Zürcher Zögling».

Die Rede ist von Julian Zigerli. Der 30-jährige Modedesigner steht in seinem Atelier an der Zypressenstrasse im Zürcher Kreis 4 . Er trägt kurze, schwarze ­Hosen mit Rosenmuster, ein selbst entworfenes violettes T-Shirt und Converse-Turnschuhe, auf deren Oberfläche die amerikanische Flagge nachempfunden ist. Die blondierten Haare raspelkurz geschnitten. Auffällige Farbkombinationen, manche sagen auch Kollisionen – dafür ist Zigerli bekannt.

Aufgefallen sind sie auch Giorgio Armani, 79. Der italienische Modezar höchstpersönlich stellte Julian Zigerli im Februar die Bühne seines Teatro Armani in Mailand zur Verfügung, dort, wo der Meister sonst selber seine Kollektionen präsentiert. Armani fördert damit junge Talente. Und sorgte für eine Premiere: Zum ersten Mal durfte ein Schweizer Designer seine Männermode-Kollektion an der Mailänder Fashion Week zeigen.

«Mailand war wow», sagt Julian Zigerli. Er weiss um die «Megachance», die er mit dem Auftritt bekommen hat. Nach der Show verdrückte er sogar ein paar Tränen. Das sei ihm noch nie passiert. Aber abheben deswegen? Nein, sicher nicht. Im Juli will Zigerlian der Fashion Week Berlin seine nächste Kollektion zeigen, seine achte bereits. Und es ist jedes Mal das Gleiche: Am Ende wird die Zeit knapp. «Ich hätte schon vor zwei Wochen die neuen Stoffe bestellen sollen.»

Für die Show bei Armani war der Ausnahmezustand noch grösser. Julian Zigerli erweiterte dafür seine Herbst-Winter-Kollektion 2014/15 «The One and Only» kurzfristig von zwanzig auf dreissig Teile, unter ­anderem mit einem Regenmantel und Strickpullovern. Mutter Renza half beim Nähen. Das allerletzte Teil schneiderte der junge ­Modemacher 48 Stunden vor Showbeginn zusammen.

Äusserlich ist Zigerli ein Paradies­vogel, im Innern scheint er aber geerdet. Familie und Freunde sind ihm wichtig. Er weiss, ohne sie könnte er seinen Weg nicht so konsequent gehen, wie er das in den letz ten vier Jahren getan hat. Die Eltern un­ter­ stützen ihn bis heute finanziell. Aufgewachsen ist Julian Zigerli in Uster ZH. Weil er der Kleinste war, nannten sie ihn in der Schule «Junior». Er nennt sich einen Spätzünder. Dabei war ihm schon früh klar: «Ich will etwas Gestalterisches machen.» Nur was genau, wusste er mit 17 noch nicht. Er besuchte die private Gestaltungsschule Punkt G in Zürich. Während eines Praktikums beim Zürcher Modelabel Redroom sass er an die Nähmaschine und spürte: «Das liegt mir, das kann ich.» 

Julian Zigerli ging nach Berlin, studierte an der Universität der Künste (UdK). Dort wurde er aufgenommen, obwohl er keine Matura vorweisen konnte. Für seine Abschlussarbeit nähte er Jacken mit integrier tem Rucksack. Und bekam die Bestnote dafür. Ja, sein Talent war schon vor Armanis Ritterschlag bekannt: Stephan Schneider, ehemaliger Modeprofessor an der UdK, nannte ihn «die Vorhut einer neuen Generation von Männermodemachern». 

Nach sechs Jahren hatte Julian Zigerli genug von Berlin. «Die ständigen Mieterwechsel in unserer Wohngemeinschaft nervten irgendwann.» Er mag die Stadt nach wie vor, liebt das grosse Angebot an Konzerten und Ausstellungen. Hin und wieder die Nacht zum Tag machen. Aber er wollte wieder mehr Konstanz im Leben, wollte zurück zu Familie und Freunden. Also packte er die Koffer und fuhr heim. Wer kreativ sein will, braucht Wurzeln.

In Zigerlis Atelier in Zürich ist jeder Platz genutzt: zwei Tische, ein Sofa, ein Stuhl, ein Computer, zwei Gestelle voller Ordner, zwei Nähmaschinen, vier Scheren, zwei Kleiderstangen und wenig ­Tageslicht. Das Atelier besteht aus zwei kleinen Zimmern in einer Vier-Zimmer-Altbauwohnung. Und wie man Zigerlis Mode so an den Kleiderbügeln hängen sieht, wird klar, dass Mode nicht mehr ist als Stoff – wenn man ihr die Models, den Laufsteg und die Aura der Modeschau wegnimmt. 

Von der Männermode-Kollektion Frühling/Sommer 2015, die Julian Zigerli in wenigen Wochen in Berlin zeigen will, ist – ausser einigen Probeteilen aus weissem Baumwollstoff – noch nicht viel zu sehen. «Meine Entwürfe sind da drin.» Er deutet auf seinen Kopf. «Und was ich mir nicht merken kann, hänge ich an die Wand.» Hinter dem Computer hängen Dutzende von Bildchen: Fotos aus dem Internet, Ausrisse aus Magazinen, Skizzen. Und ein Farbmuster klebt auch da. Es sind Zigerlis Farben für den Sommer 2015 : Violett, Türkis, Gelb und Schwarz.

Mehr will er noch nicht verraten über seine nächste Kollektion, auch ihren Namen nicht. So viel scheint klar: Er bleibt den markanten Stoffen und dem lauten Design treu. Manche nennen seinen Stil schrill. Julian Zigerli sagt: «Bunt.» Auf ­jeden Fall macht er nicht Mode für jedermann. Das will er auch nicht. Die Welt ist grau genug, da schaden ein paar Farb­tupfer auf keinen Fall. Auch Jeroen van Rooijen, Stilexperte bei Radio SRF 3 , mag Zigerlis bunte Drucke: «Am stärksten ­finde ich, wie er die Sportbekleidung neu interpretiert. Die Jacken mit den eingebauten Rucksäcken sind cool.» Die Rucksack-Jacken, Kleidungsstück und Accessoire in einem, sind so etwas wie Zigerlis Markenzeichen. Ein Markenzeichen, das heute bis nach Japan und China verkauft wird. Und trotzdem: Der Weg ist noch weit. «Der Auftritt bei Armani war wichtig», sagt van Rooijen.

Der Durchbruch war es aber noch nicht. «Dafür muss man international in guten Läden vertreten sein und viel Umsatz ­machen.» Auf seinem Weg in den Mode-Olymp wird der junge Modemacher noch öfter Kritik einstecken müssen, sich unverstanden fühlen. 

Auch Giorgio Armani verstand nicht alles. Als Julian Zigerli den italienischen Modepapst nach der Show in Mailand auf Englisch ansprach, schaute dieser verständnislos seine Assistentin an und fragte: «Che cosa dice?» Halb so schlimm: Zigerli Ã¼berzeugte Armani mit seinen Entwürfen. Während die Modewelt in Mailand über den jungen Zürcher sprach, hingen seine Kleider allerdings noch in keinem Schweizer Laden ausser in seiner eigenen Ladengemeinschaft «Temporär Kalk» in Zürich. Es scheint wie so oft: Ein Schweizer muss zuerst im Ausland Erfolg haben, bevor er in der Heimat gefeiert wird.

 

www.julianzigerli.com 

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